Klimabilanz im Onlinehandel aufstellen
Mit der Einführung der Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) im Januar 2023 erlebt die EU-Wirtschaft einen grundlegenden Wandel. Allgemein soll Nachhaltigkeit durch diese Richtlinie einen höheren Stellenwert in Unternehmen erhalten.
Unternehmen von öffentlichem Interesse müssen jährlich eine Klimabilanz veröffentlichen, welche die Umweltauswirkungen ihrer Lieferanten und Partner berücksichtigt. Aber weshalb sollten auch nicht-börsennotierte Unternehmen eine Klimabilanz erstellen? Welche besonderen Herausforderungen ergeben sich für den Onlinehandel? Was ist das GHG-Protokoll? In unserer Übersicht erfahren Sie mehr.
Was ist die CSRD?
Die CSRD, auch bekannt als CSR-Richtlinie, zielt auf die Etablierung einheitlicher Nachhaltigkeitsberichtsstandards für Unternehmen auf EU-Ebene ab. Durch die Umsetzung dieser Richtlinie sollen Investoren, NGOs, Verbraucher und andere Interessengruppen Zugang zu relevanten Umweltinformationen von Unternehmen erhalten und diese effektiver bewerten können. Die am 05. Januar 2023 von der Europäischen Kommission verabschiedete Richtlinie gibt den Mitgliedsstaaten 18 Monate Zeit, sie in nationales Recht umzusetzen. Dieser Schritt dient nicht nur dem Schutz der Umwelt und des Klimas sowie der Förderung von Transparenz und Vergleichbarkeit von Nachhaltigkeitsinformationen, sondern auch der Anpassung der Wirtschaft an aktuelle Anforderungen, um die langfristige Wettbewerbsfähigkeit der Europäischen Union zu gewährleisten.
Welche Standards müssen eingehalten werden?
Die Erstellung der Nachhaltigkeitsberichte muss gemäß der Richtlinie den europäischen Standards für Nachhaltigkeitsberichterstattung, den ESRS (European Sustainability Reporting Standards), folgen. Diese Standards wurden von der EFRAG (European Financial Reporting Advisory Group) festgelegt. Zum einen enthalten die Berichte Informationen über aktuelle und potenzielle soziale sowie ökologische Chancen und Risiken. Zum anderen beleuchten sie die Auswirkungen der unternehmerischen Geschäftstätigkeiten auf Menschen und Umwelt. Angesichts der zunehmenden Folgen des Klimawandels wird somit nachhaltiges Wirtschaften immer entscheidender für die Bewertung von Investitionen.
Welches Geltungsbereich haben diese Regelungen?
Die neue EU-Richtlinie hat Auswirkungen auf verschiedene Arten von Unternehmen und gilt:
- Ab dem Januar 2024 für Großunternehmen mit mehr als 500 Angestellten.
- Ab dem 1. Januar 2025 für große Unternehmen mit weniger als 500 Angestellten.
- Ab dem 1. Januar 2026 für börsennotierte kleine und mittlere Unternehmen (KMU), sofern sie bis 2028 keine Ausnahmeregelung („Opt-Out“) in Anspruch nehmen.
Innerhalb der Europäischen Union fallen etwa 50.000 Unternehmen unter diese Regelungen und sind daher berichtspflichtig. Davon sind allein 15.000 Unternehmen in Deutschland ansässig. Aufgrund des knappen Zeitfensters und der großen Anzahl von betroffenen Unternehmen sollten diese sich so schnell wie möglich mit den Anforderungen für die Berichterstattung sowie der Erstellung einer Klimabilanz auseinandersetzen.
Welche spezielle Position hat der Onlinehandel?
Unternehmen, die derzeit nicht unmittelbar von den Vorschriften betroffen sind, sollten ebenfalls beginnen, ihre Klimabilanzen zu erstellen. Denn Unternehmen, die berichtspflichtig sind, benötigen die Emissionsdaten ihrer Zulieferer und Dienstleister für ihre eigenen Bilanzen. Dies wird in einem späteren Abschnitt noch genauer erläutert. Die sorgfältige Datensammlung von Dritten ist insbesondere im Onlinehandel ohne physische Geschäfte und eigenen Fuhrpark von großer Bedeutung. Eine frühzeitige Einbindung in den Prozess ermöglicht es den Unternehmen, sich effektiver auf künftige Regelungserweiterungen vorzubereiten.
Bedeutung für Unternehmen
Trotz des finanziellen und zeitlichen Aufwands, der mit der Erstellung einer Klimabilanz einhergeht, ist diese für nicht börsennotierte KMU und Onlinehändler absolut notwendig, um zukünftig wettbewerbsfähig zu bleiben. Besonders dann, wenn diese Unternehmen im Business-to-Business-Sektor tätig sind, kann die Bereitstellung umfassender CO2-Bilanzen und zugehöriger Details ein zusätzliches Entscheidungskriterium für den Kaufprozess liefern. Zudem ergeben sich durch die Erstellung einer Klimabilanz konkrete Möglichkeiten zur Kosteneinsparung. Der positive Imagegewinn, der mit der Ausrichtung auf Nachhaltigkeit einhergeht, sollte darüber hinaus nach außen kommuniziert werden können. Dies erfordert eine Kommunikation der Nachhaltigkeitsbemühungen, damit sie öffentlich umfassend wahrgenommen werden können.
Klimabilanz: Outsource oder Inhouse?
Die Klimabilanz kann entweder von einem externen Dienstleister oder im eigenen Unternehmen erstellt werden. Häufig wird diese Aufgabe intern an den zuständigen Nachhaltigkeitsverantwortlichen, den Qualitätsmanager oder den ISO-Experten übertragen. Verschiedene Modelle stehen für die Bilanzierung zur Verfügung. Dazu zählen der GRI-Standard, der aus dem Kyoto-Protokoll abgeleitet wurde. In diesem Blog-Artikel werfen wir jedoch einen Blick auf den weltweit anerkannten Standard des Greenhouse Gas Protocols (GHG-Protokoll).
In den meisten Fällen stehen Tabellen oder Datenbanken zur Verfügung, aus denen die CO2-Belastung pro Kilogramm oder Tonne für Produkte und Vorprodukte entnommen werden kann. Durch die Multiplikation mit der Menge der verwendeten Produkte im Unternehmen lassen sich konkrete Werte für die individuelle Klimabilanz errechnen.
Zusätzlich können Datenbanken oder Excel-Tabellen verwendet werden, um schrittweise relevante Daten zu sammeln und Berechnungen durchzuführen. Im Internet gibt es CO2-Rechner für verschiedene Anwendungsfälle wie beispielsweise Bürogebäude, Fuhrpark, Logistik, Dienstreisen und Messen/Events/Veranstaltungen. Diese Rechner ermöglichen nach Eingabe bestimmter Informationen wie die Anzahl der Fahrzeuge, deren Motorisierung und jährliche Kilometerleistung, basierend auf weiteren Annahmen die Ermittlung von CO2-Emissionen.
Das GHG Protokoll
Das GHG-Protokoll wurde in den 1990er-Jahren von zwei führenden Organisationen herausgebracht: dem Institut für ökologische Wirtschaftsforschung, bekannt als das World Resources Institute (WRI), und der Gesellschaft für nachhaltiges Wirtschaften, dem World Business Council for Sustainable Development (WBCSD). Dieses Protokoll ist ein international anerkannter Leitfaden zur Erfassung, Berichterstattung und Verifizierung von Treibhausgasemissionen in Unternehmen und Organisationen. Es ist sowohl im Privatbereich als auch im öffentlichen Sektor anwendbar und bietet eine Vielzahl von Werkzeugen zur Datenerfassung und -verwaltung sowie umfassende Schulungen zur Klimabilanzierung. Das GHG-Protokoll hat global an Bedeutung gewonnen und wurde im Jahr 2016 von 92 Prozent der 500 umsatzstärksten Unternehmen weltweit, den sogenannten Fortune-500-Unternehmen, übernommen. Jedes Tool wurde durch eine Vielzahl von Branchenexperten gründlich geprüft und repräsentiert das bewährteste Verfahren.
Die Klimabilanzierung erfordert das genaue Beachten von drei Hauptbereichen, die als Scopes 1, 2 und 3 bekannt sind. Innerhalb dieser Bereiche werden sowohl direkte als auch indirekte Verbräuche von Kraftstoff, Energie und Ressourcen erfasst. Anschließend werden die Emissionen mithilfe von verlässlichen Emissionsfaktoren, die in Datenbanken wie GEMIS, den IPCC-Richtlinien oder ProBas verfügbar sind, in CO2 und CO2-äquivalente Treibhausgase (CO2e) umgewandelt. Die gewonnenen Erkenntnisse ermöglichen es Unternehmen, potenzielle Verbesserungsbereiche zu identifizieren. Hierbei ist jedoch Vorsicht geboten: Es ist ratsam, keine Durchschnittswerte zu verwenden, da sie die Ergebnisse von individuellen Klimaschutzmaßnahmen verzerren können.
Scope 1 umfasst die direkten CO2e-Emissionen aus der Nutzung von Kraftstoffen, sei es durch die Beheizung der eigenen Büros und Lagergebäude mit Gas, Öl oder durch den Betrieb des firmeneigenen Fuhrparks.
Scope 2 berücksichtigt alle indirekten Emissionen durch die Nutzung von Energiequellen, sei es der Stromverbrauch für Büro- und Geschäftsräume, Lager oder Fernwärme. Die Berechnung dieser Scopes ist in der Regel recht transparent, da konkrete Verbrauchsdaten zur Verfügung stehen.
Scope 3 erfasst vor- und nachgelagerte Emissionen entlang der gesamten Wertschöpfungskette. Dies beinhaltet Aspekte wie Produktionsmittel, Investitionsgüter, den Alltag der Angestellten, Abfallbewirtschaftung, Versand und vieles mehr. Scope 3 ist für berichtspflichtige Unternehmen schwierig zu erfassen, denn sie sind auf präzise erhobene Daten der Kooperationspartner angewiesen. Unternehmen, die nicht zur Berichtspflicht verpflichtet sind, sind daher als potenzielle neue Vertragspartner besonders attraktiv, wenn bereits eine Klimabilanz gemäß dem GHG-Protokoll erstellt wurde.
Im Zeitalter des E-Commerce entfallen der Großteil der Treibhausgasemissionen auf Scope 3. Daher werden wir genauer untersuchen, welche Faktoren in diesen Bereich fallen und wie sie möglicherweise nachhaltiger gestaltet werden können. Die Aufschlüsselung ist in den folgenden Abschnitten zu finden.
Die Umweltauswirkungen der Wertschöpfungskette
Eine umfassende Übersicht über die 15 verschiedenen Kategorien der Scope 3-Bilanzierung sowie detaillierte Anleitungen zur Datenerhebung finden Sie im Leitfaden des GHG Protocols:
- Kategorie 1 – Gekaufte Waren und Dienstleistungen: Hier werden die vorgelagerten Emissionen („cradle-to-gate“) für alle erworbenen Produkte oder Dienstleistungen erfasst, die in keine der anderen Kategorien passen.
- Kategorie 2 – Investitionsgüter: In dieser Kategorie werden die vorgelagerten Emissionen („cradle-to-gate“) für alle erworbenen Kapital- oder Investitionsgüter erfasst. Emissionen, die durch die Nutzung dieser Güter entstehen, fallen unter Scope 1 oder 2.
Kategorie 3 – Brennstoff- und Energiebezogene Tätigkeiten: Hier werden die Emissionen erfasst, die durch den Erwerb oder Verbrauch von Energie oder Brennstoffen entstehen und nicht unter Scope 1 oder 2 fallen.
Kategorie 4 – Vorgelagerter Transport und Vertrieb: Diese Kategorie umfasst die Emissionen, die beim Erwerb oder der Verteilung von Gütern über Drittanbieter und die damit verbundenen logistischen Aufgaben entstehen.
Kategorie 5 – Abfallwirtschaft im Betrieb: Hier werden die Emissionen erfasst, die durch die Entsorgung aller im Unternehmen angefallenen Abfälle entstehen.
Kategorie 6 – Geschäftsreisen: Diese Kategorie umfasst die Emissionen, die durch die Fortbewegungsmittel (wie Zug oder Flugzeug) der Angestellten im Rahmen von Dienstreisen entstehen.
Kategorie 7 – Pendelverkehr der Angestellten: Hier werden die Emissionen erfasst, die die Angestellte auf ihrem Arbeitsweg verursachen, sei es mit dem Auto, mit der Bahn oder einem anderen Verkehrsmittel.
Kategorie 8 – Leasing von Vorleistungsgütern: Diese Kategorie erfasst die Emissionen, die durch die Nutzung von geleasten Gütern entstehen, die nicht unter Scope 1 oder 2 fallen.
Kategorie 9 – Nachgelagerter Transport und Vertrieb: Hier werden die Emissionen erfasst, die beim Transport und Vertrieb der verkauften Waren durch Dritte über Ladengeschäfte oder Lagerhaltung entstehen.
Kategorie 10 – Verarbeitung der verkauften Produkte: Diese Kategorie bezieht sich auf die Emissionen, die bei der Weiterverarbeitung der verkauften Waren durch Dritte entstehen.
Kategorie 11 – Verwendung der verkauften Produkte: Hier werden die Emissionen erfasst, die durch die Verwendung der verkauften Waren oder Dienstleistungen durch Endverbraucher entstehen.
Kategorie 12 – Behandlung von Produkten am Ende ihrer Lebensdauer: In dieser Kategorie werden die Emissionen erfasst, die durch die Entsorgung aller Produkte entstehen, die das Unternehmen verkauft hat.
Kategorie 13 – Leasing von Nachleistungsgütern: Diese Kategorie umfasst die Emissionen, die durch die Nutzung von Gütern entstehen, die das Unternehmen selbst verleast.
Kategorie 14 – Franchise: Hier werden die Emissionen erfasst, die von Franchise-Nehmern des Unternehmens verursacht werden, und die nicht unter Scope 1 oder 2 fallen.
Kategorie 15 – Investitionen: Diese Kategorie erfasst die Emissionen, die durch Investitionen des Unternehmens entstehen.
Den CO2-Fußabdruck verkleinern
Um den eigenen ökologischen Fußabdruck in Bezug auf CO2-Emissionen zu reduzieren, haben Onlinehändler und -händlerinnen die Möglichkeit, auf nachhaltige Logistikunternehmen zu setzen. Diese Unternehmen verzichten bei der Auslieferung auf fossile Brennstoffe und nutzen stattdessen Fahrzeuge mit umweltfreundlichem Antrieb zur Reduzierung der Emissionsbelastung im Versandprozess. Ein weiterer wichtiger Bereich zur Emissionsreduktion ist die Mobilität der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Hier sollte der Betrieb Anreize schaffen, damit die Angestellten vermehrt auf öffentliche Verkehrsmittel oder das Fahrrad als Fortbewegungsmittel umsteigen.
Die fortschreitende Digitalisierung bietet zusätzliche Möglichkeiten zur Reduzierung von Emissionen, beispielsweise durch die Einführung eines papierlosen Büros. Die Erfahrungen aus der Corona-Pandemie haben gezeigt, dass Geschäftsreisen effektiv durch Online-Meetings ersetzt werden können, was lange und umweltbelastende Reisen überflüssig macht. Zudem kann die E-Commerce-Branche durch ihr Produktsortiment einen Beitrag zum Klimaschutz leisten. Sofern es zum Geschäftsmodell passt, sollten nachhaltig produzierte und langlebige Produkte angeboten werden. Wenn diese zudem in regionalen Produktionsstätten hergestellt werden, können die Transportwege erheblich verkürzt werden, was sich positiv auf die Umweltbilanz auswirken kann.
Fazit
Für nachhaltiges und zukunftsorientiertes Wirtschaften ist das Messen und Bilanzieren von betrieblichen CO2-Emissionen für Unternehmen ein sinnvoller Schritt. Angesichts des Ziels der Europäischen Union, bis 2050 Klimaneutralität zu erreichen, stellt die Verpflichtung zur CSR-Berichterstattung eine nachvollziehbare und zentrale Maßnahme dar. Für Unternehmen, die dieser Berichtspflicht unterliegen, bedeutet dies zunächst einen zusätzlichen Aufwand in Bezug auf Zeit und Kosten.
Trotz dieser anfänglichen Herausforderungen eröffnen sich jedoch neue Chancen im Zuge dieser Berichtspflichten. Insbesondere berichtspflichtige Unternehmen werden künftig bei ihren Beschaffungsentscheidungen Vorprodukte, Produkte und Lösungen von Betrieben bevorzugen, die bereits Berechnungen in Bezug auf Umweltaspekte durchgeführt haben und eine Klimabilanz vorweisen können. Dies ist unerlässlich, um den Anforderungen der neuen Berichtspflichten gerecht zu werden. Auf diese Weise können die kaufenden Unternehmen ihren Verpflichtungen nachkommen und aktiv zur Förderung umweltfreundlicher Geschäftspraktiken beitragen.
Dr. Frank Lampe
Position: Geschäftsführer Merways GmbH
Experte: Autor mehrerer Fachbücher und Fachartikel u.a. zu den Themen Green IT, Marketing und eCommerce
Erfahrung: Honorar- und Gastdozent u.a. an Graduate & Professional School der Hochschule Bremen.